100 Jahre biodynamisch Interviews - Pioniere

Im Gespräch: Rüdiger Spiegel, Betriebsleiter auf dem Talhof

Im Stall Martina und Rüdiger Spiegel, Betriebsleitung des Talhofs. © Talhof

Bildunterschrift: Im Stall Martina und Rüdiger Spiegel, Betriebsleitung des Talhofs

1924 hielt Steiner im polnischen Koberwitz Vorträge vor rund hundert Bäuerinnen und Bauern, die sich angesichts der aufkommenden künstlichen Düngung Sorgen um die Bodenfruchtbarkeit machten. Damals wurde der Grundstein der biodynamischen Landwirtschaft gelegt. Mit dem sogenannten „Landwirtschaftliche Kurs“. 
Auch 100 Jahre später setzen Demeter-Mitglieder immer wieder wichtige Impulse in der Bio-Landwirtschaft. Sie haben nachhaltige Lösungen für die großen Herausforderungen unserer Zeit entwickelt wie: regionale assoziative Wertschöpfungsketten (Bauern, Verarbeiter, Händler in einer Region), eine unabhängige Pflanzen- und Tier-Züchtung, Verfahren zum Schutz des Bodenlebens, erweitertes Tierwohl (Kuh und Kalb) und viele weitere Nachhaltigkeitsleistungen. 

Im Gespräch Rüdiger Spiegel, Betriebsleiter auf dem Talhof - was beschäftigt ihn im Jubiläums-Jahr ?!:

Was wollen Sie unbedingt rüberbringen im Jubliäums-Jahr? "Demeter muss den Anforderungen der Gegenwart begegnen und auf die Bauern Rücksicht nehmen, die das Ganze tragen. Wie überall muss man auch hier an die Verwaltung ran, hier sollte optimiert und verschlankt werden. Es geht schließlich drum, dass wir die Produkte vermarktet bekommen und weniger Papierkram erledigen müssen.

Man kann die Verbraucher nicht verpflichten, Bio/Demeter zu kaufen, aber evtl. ist die sogenannten Außerhaus-Verpflegung eine Chance, wenn es mehr Bio/Demeter in staatlichen Kantinen gibt."

Wie lautet der Satz, wenn Sie diesen hier vollenden: „Die biodynamische Landwirtschaft ist für mich…eine von vielen Möglichkeiten, gesunde Lebensmittel naturverträglich zu produzieren.“

Wie und wann genau entstand die erste Berührung mit der biodyn. Wirtschaftsweise? "In den 80iger Jahren habe ich auf einem Hof in der Nachbarschaft mitgeholfen. Der junge Landwirt dort war sehr modern und pionierhaft unterwegs, er hatte zuerst auf Bioland umgestellt und wenig später auf Demeter. Und das war etwas Besonderes, das hat mich fasziniert. Daraufhin habe ich mich entschlossen im Jahr 1989 die landwirtschaftliche Ausbildung zu machen und so bin ich auf dem Talhof gelandet, bei Herrn Sattler. Es war das letzte Jahr, das er noch als Betriebsleiter auf dem Hof war. Und letztlich habe ich dann später den Hof gepachtet. Das war alles, wenn man so möchte `Fügung´.

Was war da das persönliche Schlüsselerlebnis? oder gab es eines im späteren Verlauf? "Für mich war es damals ein Schlüsselerlebnis zu spüren, wie intensiv man die Präparate angewendet hat. Das hat mich sehr geprägt. Was ich unterschätzt habe, ist die schwierige Lage hier auf der Ostalb; karge Böden, raues Klima –das ist schon eine schwere Hypothek. Da hat Friedrich Sattler mit gutem Können das Beste draus gemacht. Hier muss man sich schon sehr stark „reinhängen“, dass man auf dem Standort etwas erwirtschaftet. Aber es begeistert mich immer wieder aufs Neue diese Lage hier in diesem Tal (Ugental) hier. Man hat hier schon eine etwas eigene, abgeschiedene Welt. Der Vorteil: Wir haben hier keinerlei Probleme mit der Abdrift (Pestiziden) von konventionellen. Kollegen. Es ist schon ein sehr besonderer Standort.“

Wie war damals die Reaktion von Verbrauchern und auch von Berufs-Kollegen? "Damals in den 50/60iger bei der Leistung von den Milchkühen, da musste Herr Sattler beweisen, dass es mit biodynamisch auch ging. Damals wurden die Bauern, die mit strengem Bio unterwegs waren als Spinner angesehen. Heute ist Bio gesellschaftsfähig. Und ich konnte ja schon auf einen lang bewirtschafteten Betrieb zurückgreifen. Von daher hatte ich es da leichter."

Wieso identifizieren Sie sich mit der biodyn. Landwirtschaft? "Der Anspruch die besten Lebensmittel zu produzieren, die konsequenteste Ausgestaltung der Richtlinien, zu den BESTEN zu gehören, das treibt mich immer wieder aufs Neue an. Es ist das Umfassendste an Landwirtschaft, weil sie auch von den biodynamisch Wirtschaftenden immer weiterentwickelt wird. Das ist wie ein zusätzlicher Kick, weil es das sonst einfach nicht gibt! Und auch die Verbindung zu denen, die das schon vor uns gemacht haben – also dass es 1924 schon Bauern gab, die das Wohl der Natur im Blick hatten und das Wesen des Bodens, des Reifens verstanden haben – ohne Blick auf die reine Vermarktung. Damals haben die Pioniere das ja bereits aus Überzeugung gemacht: Kühe mit Hörnern gehalten und die Arbeit mit den biodynamischen Präparaten.“

Rüdiger Spiegel Betriebsleiter auf dem Talhof stemmt mit einer Hand einen Laib Käse

 Rüdiger Spiegel in der Hofkäserei

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Auf welche Meilensteine/Herausforderungen blicken Sie heute und sind stolz sie gemeistert zu haben? "Als ich den Hof übernommen habe, im Jahr 2014, da war alles im Umbruch. Die Betriebsgemeinschaft war zerbrochen, alle Betriebszweige waren angefangen, aber nicht gut aufgestellt. Ich habe das erstmal so weitergemacht, dann aber festgestellt, ich muss mich konzentrieren. Ein Mitarbeiter starb, die Vermarktung der Bäckerei und Käserei war damit auch erstmal vorbei. Eine schwere Zeit. Ich konzentrierte mich dann auf die Milch. 2019 habe ich mich entschlossen, unsere Milch selbst zu verarbeiten. Die Hofkäserei wurde modernisiert. Für einen tollen Käse brauchen wir tolles Futter aus eigener Erzeugung. Bei uns gibt es also Heumilch, wir haben eine eigene Heutrocknungsanlage. Diese Milch verarbeite ich und einen Teil gibt es auch als Roh-Milch am Automaten.“

Was würden Sie sagen liegt Ihnen am meisten? was haben Sie selbst für sich weiterentwickelt? (bspw. Kompostwirtschaft, neue Anbaumethode, Tierwohl o.ä.) „Wir haben die Kuh-gebunde Kälberaufzucht eingeführt, so darf jedes Kalb an der Mutter bzw. Amme trinken. Das schätzen die Verbraucher sehr und das war rückblickend eine gute Entscheidung.“
 

Welche Visionen haben Sie für die Zukunft? (bezogen auf den Hof, den Verband, oder auch persönlich - das Lebenswerk betreffend) „Eigentlich wollte ich wieder mehr Vielseitigkeit, früher gab es Hühner und Schweine, aber die Hürden sind so hoch (Gebäude). Für die Zukunft wünsche ich mir wieder mehr Tiere auf dem Hof, aber dann brauche ich Mitstreiter, die das mittragen. Man braucht eigentlich jemanden für das Büro. Wo es früher ein Heft für die Buchführung gab auf dem Küchentisch braucht es heute ein Büro und einen Keller voller Ordner. Das bremst uns Landwirte total aus. Wir brauchen die Gelder und die müssen beantragt werden. 

Mein Ziel ist wieder mehr Vielseitigkeit, evtl. schaffen wir das für diesen Hof, der relativ klein ist mit Bauernhofpädagogik. Wir brauchen mehr Verbraucher-Bildung. Das könnte ein weiteres Standbein werden.“

Welche Tipps/Erfahrungswerte können Sie jungen Mitgliedern mit auf den Weg geben?  „Nicht gleich aufgeben! Konzentriert Euch auf eine Sache und lasst Euch nicht beirren von Diskussionen um Euch rum, auch nicht vom Verband. Wenn man von „biologisch-dynamisch“ überzeugt ist, dann darf man sich nicht entmutigen lassen.“

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